Dies ist nun der erste Beitrag aus Longyearbyen in Spitzbergen. Mein Flug, verlief ohne ProblemedenHeute ist in Norwegen ein besonderer Tag. Es ist der Verfassungstag. In jedem Jahr, am 17 Mai, wird der Nationalfeiertag mit einer Parade gefeiert.
Doch zwischen heute und dem letzten Bericht liegt eine längere Zeitspanne, während der ja auch einiges geschehen ist.
Am ersten Tag habe ich mich zunächst einmal in meinem neuen Heim eingerichtet, eingekauft und den Aktivitätenplan erstellt, doch dann am vierzehnten Mai machte ich mich auf die Socken unm die Stadt zu erkunden. Hilfreich war mir da ein Audioguide, der von meinem Gastgeber erstellt wurde. An achtundvierzig Stationen erfuhr ich alles Wichtige über die Stadt, das Leben und die Infrastruktur.
Einst diente Longyearbyen nur den Arbeitern der nahe gelegenen Minen als Schlafsiedlung und erst später zogen die Familien nach. So entwickelte sich langsam aus der Abeiterunterkunft eine Wohn und Familienstadt. Nun ist die Stadt auf etwa 2600 Einwohner angewachsen, die ständig oder auf längere Zeit hier wohnen. Longyearbyen ist bei einigen nicht nur wegen der arktischen Verhältnisse so beliebt, sondern auch wegen der besonders geringen Spitzbergensteuer. Auffällig an der Architektur ist, dass alle Gebäude auf Stelzen errichtet wurden. Alle Rohre für Abwasser und Wasser, sowie die Fernwärme, die in einem eigens hierfür gebauten Kraftwerk erzeugt wird, verlaufen oberirdisch, damit sie nicht dem instabilen Permafrostboden zum Opfer fallen. Bei einigen großen Bauten sorgt eine extra Kühlung unter dem Gebäude dafür, dass sich die Gabäudewärme nicht auf den Permafrost überträgt und ihn zum Schmelzen bringt.
Überall an den Berghängen sehe ich Relikte der alten Gruben und deren Förderanlagen.
Interessant ist auch das Svalbard Museum mit seiner beeindruckenden Präsentation der Geschichte Spitzbergens, seiner geografischen und geologenschen Entwicklung und der Erforschung. Das Museum befindet sich in dem modernen Gebäude der Universität. Natürlich widme ich diesem Museum einen ganzen Tag. Es gibt in der kurzen Zeit, die ich auf Svalbard verbringe, den besten Einblick in das Leben auf dem Archipel.
Später besuche ich die nördlichste Brauerei der Welt, die Svalbard bryggeri. Da es auf Svalbard verboten war Alkohol zu produzieren und zu verkaufen wurde eigens hierfür das entsprechende Gesetz geändert.
Ein Highlight ist eine Fahrt mit dem Hundeschlitten. Die Hundestationen befinden sich weit außerhalb der Stadt, da das Gebell und Geheul von mehr als vierhundert Hunden nicht auszuhalten wäre.
Mit ein paar anderen Reisenden starten wir und wissen noch nicht, ob die Bedingungen für eine Schlittentour noch ausreichen, oder ob stattdessen die Tour mit Karren stattfindet. Schon von weitem hören wir die Hunde heulen und bellen. Allein in dieser Station befinden sich etwa neunzig Hunde und unsere Ankunft signalisiert ihnen, dass es Arbeit gibt, aber auch viele Ahhs und Oooos und Streicheleinheiten. Die Tiere sind außerordentlich freundlich, sie springen an mir hoch, lecken mir durchs Gesicht und genießen es sichtlich, wenn ich ihnen den Rücken kratze. Wir bekommen unseren Schlitten zugewiesen und erhalten eine kurze Einweisung in die Technik. Doch zuerst müssen die Hunde eingespannt werden. Ich schnappe mir eines der Tiere und kann es nur mit größter Anstrengung halten und führen. Immer breche ich im faulen Schnee ein, aber loslassen ist keine Option. Man spürt die Freude und Aufregung der Hunde, die erst im Geschirr ein wenig ruhiger werde. Und dann geht’s los. Dem ersten Schlitten kann ich nur mit einem Sprung in allerletzter Sekunde entkommen. Wo er mich traf, prangt jetzt heute ein dicker fetter blauer Fleck. Jetzt gibt es kein Bellen und kein Heulen mehr. Mit allem, was die Tiere geben können, stürmen sie los und zerren den Schlitten selbst über nassen, schneefreien Boden einen Hang hinauf und dann erreichen wir die Schneefläche. Es ist eine wilde Jagd und immer wieder muss der Schlitten gebremst werden. Es ist nur noch das Kratzen der Kufen und das Klirren der Hundegeschirre zu hören. Ohne auf Wasserlöcher oder Unebenheiten auf der Strecke zu achten, jagen wir dahin, von Zeit zu Zeit eingehüllt in eine Wolke übelriechender Hundeabgase. Richtig gefährlich wird es jedoch, wenn die Hunde es nicht beim Entgasen lassen, sondern sie sich auch von den weiteren Produkten ihres Stoffwechsels trennen. Die können das perfekt in voller Fahrt erledigen und dann heißt es in Deckung gehen. Shit happens!
Nach der Hälfte der Strecke tauschen wir die Plätze. Mein Partner übernimmt die Rolle des Passagiers, die wegen der gerade geschilderten Besonderheiten, die bei Weitem gefährlichere ist und ich beziehe die Position auf den Kufen. Hat man in seinem Leben schon einmal auf Skiern gestanden, dann ist das Steuern kein allzu großes Problem und für den Notfall gibt es eine Bremse und einen Anker. Nur mithilfe dieser Tools bekommt man die Hunde zu stehen.
Am Nachmittag sind wir nach einem wärmenden Kaffee, einem Cognac und vielen interessanten Gesprächen wieder zurück in der Stadt. Der alten Tradition folgend gehe ich am Abend noch einmal in die Bar, treffe den Guide der Brauereiführung, der überzeugt davon ist, den Weltrekord im Marathon in diesem Jahr zu unterbieten, Joshua, den Amerikaner des letzten Abends, der als Notfallmediziner alle Krisengebiete des Nahen Ostens bereist hatte, den Chefkoch eines Expeditionsschiffes und einen hünenhaften Eiskletterer, Jäger und Kanute. Irgendwann stellte sich heraus, dass Joshua und der Hühne aus dem gleichen Ort kommen, und dann wurde eine Runde nach der anderen bestellt. Irgendwann habe ich dann die Flucht ergriffen. Spitzbergen ist zu teuer, als dass man den nächsten Tag nur noch mit brummendem Schädel erleben kann.
Ja, und heute also ist Verfassungstag. Doch es ist auch der Abreisetag von Julia und Kinga. Nach dem gemeinsamen Frühstück tauschen wir die Adressen aus und dann heißt es Abschied nehmen. Auf dem Weg zu Ausgang dreht Kinga sich noch einmal um, nimmt mich in die Arme und drückt mich so fest, dass mir beinahe die Luft wegbleibt und dann rollen auch schon dicke Tränen ihre Wangen herab. Ich erinnere sie so sehr an ihren Vater, der nicht mehr lebt. Vor Rührung wären mir beinahe selbst die Tränen gekommen, ein letztes Winken und dann steht der Flughafenbus vor der Tür.
Morgen ziehe auch ich um. Es ging leider nicht anders, als dass ich die letzten drei Tage in einem Zimmer im Gästehaus am Ende des Tals buchen musste. Nun, auch das wird sicher wieder viele neue Geschichten hervorbringen.
Also los. Einer alten Tradition folgend…